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GroKo-Koalitionsvertrag steht: Was ist drin für Social Entrepreneurship?

Die GroKo steht

Gestern konnten sich CDU/CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag („Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland, ein neuer Zusammenhalt für unser Land“) einigen. Auch wenn wir vielleicht den großen Wurf vermissen: Ich bin erst einmal sehr froh, dass wir nun endlich eine Regierung haben und Neuwahlen abgewendet werden konnten - so es die 463.723 SPD-Mitglieder auch wollen. Respekt an die Verhandler*innen, die tage- und nächtelang gerungen haben. Das will erstmal durchgestanden werden. Am 4. März werden wir wissen, ob sich ihr Einsatz auszahlt, dann nämlich sollen die Stimme der SPD-Basis ausgezählt sein.

Der Koalitionsvertrag - Ein Türöffner für die #Lobby4good

Ein großer Erfolg für die Social Business Szene ist, dass hier erstmals explizit „Social Entrepreneurship“ in einem Koalitionsvertrag genannt wird und unterstützt werden soll. Auch „soziale Innovationen“ werden mehrmals aufgeführt und sollen gefördert werden - im Vergleich dazu wurden sie im Koalitionsvertrag von 2013 lediglich einmal explizit genannt. 

 

Da ein solcher Koalitionsvertrag in vielen Arbeitsgruppen Stück für Stück ausgehandelt wird und teilweise um Begriffe und Halbsätze gefeilscht werden muss, ist dies ein nicht zu unterschätzender Meilenstein für die Social Entrepreneurship Szene in Deutschland. Gratulation an dieser Stelle an das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND), das gemeinsam mit dem Bundesverband Deutsche Startups sehr hartnäckig und erfolgreich dafür lobbyiert hat. Dieses schriftliche Festhalten und diese Einigung in dem Koalitionsvertrag bietet der Szene die entscheidende Grundlage, um ihre Arbeit fortzusetzen, weil es der Großen Koalition immer und immer wieder unter die Nase gehalten werden kann. Es mag zunächst nur ein geringer Erfolg sein, aber ohne ihn, wäre uns schlichtweg der Hebel für die nächsten Schritte entzogen worden. Und vor allem werden soziale Innovationen auch in verschiedenen Bereichen, also nicht nur im Wirtschaftskapitel, sondern auch im Bereich Bildung (S. 29) genannt. Das deutet darauf hin, dass doch einige Gedankengänge unserer Community nach draußen gedrungen sind. Yeah!

Keine konkreten Maßnahmen

Natürlich fehlen in dem Papier die konkreten Maßnahmen, Instrumente, Zielvorgaben und Zeitpunkte, wann das alles geschehen soll. Auch werden keine konkreten Zahlen genannt, in welcher Höhe eventuell soziale Innovationen finanziell gefördert werden sollen. Es ist die Rede von „bestehenden Instrumenten“ (S. 42), die weiter bestehen oder ausgebaut werden sollen. Es bleibt also die große Frage nach dem „wie“. Nur ganz vereinzelt werden konkrete Projekte oder Förderprogramme genannt. Das war aber für ein solches Nischenthema - ja das sind wir nach wie vor - auch nicht zu erwarten.

Der Koalitionsvertrag - Ein Flickenteppich?

Die Opposition kritisierte den Vertrag als „Flickenteppich“. Dass das Thema Klimaschutz derartig kurz gehalten wird und größtenteils nur aus Absichtserklärungen besteht, ist in der Tat besorgniserregend und auch für das Ansinnen der SocEnt-Szene nicht förderlich. Und auch ich konnte keine Ideen zur Gestaltung des Landes erkennen, es liest sich mehr wie ein Verwaltungsakt.

Kein Kulturwandel

Mit den Ausführungen im Koalitionsvertrag wird auch noch einmal deutlich, dass es keinen Kulturwandel in unserem Sinne gibt. Das klar ausgegebene Ziel heißt Vollbeschäftigung und die Marschroute lautet, dass es „auch in zehn, fünfzehn Jahren noch Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung“ (S. 55) geben soll. Insbesondere in Kombination mit dem kaum vorhandenen Kapitel Klima, bleibt die Fixierung auf Wachstum, auf das BIP bestehen. Darin kann ich kein Umdenken im Sinne von #SocEnt erkennen. Uns geht es um enkeltaugliches Wirtschaften und was wir mit unseren Geschäftsideen bewirken, welche ökologischen und sozialen Problemstellungen wir lösen. Der Kompass bleibt die Soziale Marktwirtschaft. Ursprünglich ja auch mal eine innovative Idee, die aber dringend ein Update benötigt. Somit bleiben die Fördermaßnahmen für Social Entrepreneurship eine Möglichkeit von vielen, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Dass wir als Social Entrepreneure auch andere Zielvorstellungen haben, hat in diesem Koalitionsvertrag keinen Platz gefunden.

Wo sind die Chancen?

Für diese Aussagen braucht’s noch kein Studium der Politologie? Stimmt! Daher möchte ich im Folgenden ein paar Fragen aufwerfen, den Blick auf Details lenken und etwaige Chancen, die in dem Papier stecken, skizzieren.

  • Die nicht näher definierten Fördermaßnahmen bieten natürlich auch Spielraum nach oben. Ganz unter dem Motto: „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ Wir können mit gut ausgearbeiteten Konzepten punkten und viel für uns erreichen. Die Zeit der 19. Legislaturperiode sollte also strategisch genutzt werden. Gerade weil es dem Koalitionsvertrag an einer Leitidee fehlt, entsteht für uns die Möglichkeit, das Papier mit Leben zu füllen. Um es mit Helmut Kohl zu sagen: „Entscheidend ist das, was hinten raus kommt.“ Und die gute Nachricht ist, dass der Vertrag uns keine Grenzen setzt. Gehen wir’s an!
  • Dabei spielt es natürlich auch eine Rolle, welche Ansprechpartner*innen sich durch die Ressortzuschneidung ergeben. Dieser Spielraum kann von verschiedenen politischen Akteur*innen unterschiedlich stark genutzt und ausgelegt werden. Da geht es darum, welche Personen auch affin für das Thema sind. Und da schätze ich Peter Altmaier als Wirtschaftsminister als einen sehr guten Ansprechpartner für uns ein. Nicht zuletzt weil er mit dem Thema bereits im Kanzleramt zu tun hatte. Eine mögliche Neustrukturierung des Ministeriums, das bisher in SPD-Hand war, kann daher noch interessant für uns werden. Genauso wie die Frage nach den Parlamentarischen Staatssekretären. Für das Ministerium für digitale Infrastruktur in CSU-Hand fiel bisher noch kein Name, aber hier könnte es etwas, ähm, schwieriger werden.
  • Und dann sollten wir uns fragen, was hat diesen Koalitionsvertrag denn noch geprägt? Was sind weitere Top-Themen? Da gibt es Licht (Europa) und Schatten (ich sage nur Heimatministerium). Aus #SocEnt-Sicht könnten besonders die Themen Integration und Europa spannend sein. Aber auch Bildung, Pflege, Wohnraum, Stadtentwicklung, Mobilität und Rente. In all diesen Bereichen brennt die Hütte. Und wir haben doch bereits zu vielen dieser Themen Lösungen entwickelt. Wir sollten uns daher in unserer Zusammenarbeit mit der Politik nicht nur auf das allgemeine Thema „Social Entrepreneurship“ beschränken, sondern auch zu all diesen konkreten Themen unsere Lösungen anbieten und als „ganz normale*r Unternehmer*in“ den politischen Akteur*innen unsere Unterstützung anbieten. Jeder konkrete Schritt bringt uns weiter. Und vergessen wir nicht: Für Menschen außerhalb unserer Szene sind wir umso greifbarer, je anschaulicher wir unsere Visionen vermitteln können.

Fazit

Neben dem wichtigen Meilenstein, dass Social Entrepreneurship und soziale Innovationen im Koalitionsvertrag mehrmals genannt werden, fehlt es leider an Konkretisierungen und Zielsetzungen, die über eine Absichtserklärung hinausgehen. Ein wichtiger Samen wurde eingepflanzt, ein echtes Umdenken ist für mich nicht erkennbar. Die nicht näher definierten Ziele und Fördermaßnahmen sollten wir als Spielraum begreifen, den wir mitgestalten können. Dafür müssen wir viel Zeit und gründliche Arbeit in Konzepte und Ideen stecken, mit denen wir dann gute Chancen haben, Überzeugungsarbeit zu leisten und ganz konkrete, realistische Forderungen zu verwirklichen. Bei einem Koalitionsvertrag ohne Leitidee kann ich daher nur eindringlich davor warnen, dass wir mit Schnellschüssen dann selbst nur das Bild eines Flickenteppichs abgeben. Daher kann es lohnenswert sein, sich mit den einzelnen Politikfeldern dezidiert zu befassen und auch hier im Sinne von #SocEnt, Akzente zu setzen. Denn: Damit ein echtes Umdenken gelingen kann, müssen wir noch an vielen verschiedenen Stellen Samen verstreuen.


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Kommentare: 4
  • #1

    Micha Wunsch (Donnerstag, 08 Februar 2018 10:35)

    Hej Julia,

    ganz wunderbare Einblick. Danke! Finde die Kritik, die Du äußerst sehr gerechtfertigt und denke auch, dass wir jetzt keine Schnellschüsse machen dürfen.

    Micha

  • #2

    Jens Liebermann (Donnerstag, 08 Februar 2018 14:22)

    Hi Julia,
    vielen Dank für den Beitrag. Für mich, der schrittweise auch verstehen möchte, wie wir politisch-nachhaltig etwas bewegen können, ein super Einstieg. Sehe das genauso. Im Alltag als SozialUnternehmer das eigene Projekt voranbringen und damit Vorbildwirkung nach "Draußen" vermitteln. Wenn das eine ganze Armada an Sozialunternehmern macht, dann wird sich schrittweise etwas verändern. Richtung "Gelb" - Nutze gerne SpiralDynamics zum Einordnen und verstehen.

    Herzliche Grüße
    Jens

  • #3

    Leona (Freitag, 16 Februar 2018 14:55)

    Hej Julia, vielen Dank für deinen wirklich interessanten Beitrag. Gerne mehr davon.

  • #4

    Julia Post | Open Your Window (Sonntag, 15 April 2018 11:22)

    Lieben Dank für Eure positiven Rückmeldungen! Wer up to date bleiben will über neue Beiträge: https://www.facebook.com/openwindowmuc/
    Herzliche Grüße, Julia