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Warum wir eine „Lobby4good“ werden müssen

Immer wieder werde ich gefragt, warum man als NGO oder Sozialunternehmen professionelle Lobbyarbeit, bzw. Public Affairs Management, aufnehmen sollte. Was Public Affairs Management eigentlich genau ist, erfährst Du übrigens hier.

1001 Vorträge

Meine Antwort darauf möchte ich gerne mit einem persönlichen Erlebnisbericht einläuten: Vor drei Jahren rief ich die Kampagne Coffee To Go Again, eine Aktion zur Reduzierung von Einwegbechern, ins Leben und avancierte auf diesem Gebiet zur Cheflobbyistin für die gute Sache. Ich habe dazu unzählige E-Mails beantwortet, wurde zu vielen Vorträgen bei Vereinigungen, Vereinen, Parteien, Verwaltungen, zu Kongressen eingeladen. Immer wieder erzählte ich, warum Einwegbecher schlecht sind und wie eine Lösung aussieht. Dafür fuhr ich kreuz und quer durch die Republik. Dort traf ich auf Menschen, die ebenfalls wunderbare Projekte angestoßen hatten und wir trugen uns wechselseitig auf der Bühne unsere Initiativen vor. Ich klärte über Einwegbecher auf. In der nächsten Session wurde über den Kampf gegen Plastik-Strohhalme berichtet. Am Nachmittag ging es um die Vermeidung von Papiertüten. Wundersamerweise produzierten alle Einwegprodukte tonnenweise Müll, benötigten eine Unmenge an Ressourcen und wirkten sich negativ auf die Umwelt aus. Kurzum: Wir hatten uns keine neuen Erkenntnisse mitzuteilen.

Mit welchem Impact?

Ich musste feststellen, in einer Filterblase gelandet zu sein: Ich konnte meinem Publikum eigentlich nichts Neues erzählen und anscheinend trank auch keiner der Anwesenden Kaffee aus Einwegbechern. „Wozu mache ich dann diesen ganzen Zirkus? Was bewirke ich damit?“ Das habe ich mich immer wieder gefragt.

Den direkten Weg nehmen

Daraufhin konzentrierte ich meine Aktivitäten mehr und mehr auf die politische Ebene. Binnen kürzester Zeit hatte ich mehr Freiraum, weil ich weniger Termine hatte, bei denen es vor allem um eines ging: Sich im Kreis zu drehen. Und viel gezielter auch Erfolge. So starteten immer mehr Städte eigene Kampagnen gegen Einwegbecher und die Stadt München schaffte Pappbecher aus den kommunalen Kantinen sogar ganz ab. Ziel erreicht würde ich sagen. Und ganz nebenbei für mich eine enorme Arbeitsentlastung.

Konzentration auf das Wesentliche

Und dann - wir kennen es alle - benötigen wir für unsere non-profit Aktivitäten oder zum Aufbau unseres Social Start-Ups natürlich auch das liebe Geld. Was tun wir? Wir bewerben uns auf Nachhaltigkeitspreise, Stipendien, Awards und Wettbewerbe, wir schreiben unendliche Förderanträge oder versuchen uns in einem Crowdfunding. Hat irgendjemand von uns in dieser Zeit für beispielsweise weniger Pappbecher gesorgt, ein neues Team-Mitglied eingewiesen, sich um neue Vertriebskanäle oder die strategische Kommunikation gekümmert, eine Demo organisiert oder ein Bündnis für fair fashion gegründet? Richtig: Nein! 

Noch ein Utopia-Artikel und ich raste aus!

Wollen wir wirklich in dieser Redundanz verharren und uns damit begnügen „15 Tipps zur Abfallvermeidung im Supermarkt“ zu verbreiten?

Ich frage mich immer häufiger, warum wir diesen “Aufklärungszirkus” auf unsere Kosten (Zeit, Kraft, Geld) betreiben, anstatt uns auf die Dinge zu konzentrieren, die uns schnell und effizient das Leben deutlich leichter machen würden.

Best-practice-Beispiele als wichtige Grundlage

Damit Ihr mich nicht falsch versteht: Utopia-Artikel, Best-practice-Beispiele & Co. haben eine Welle in Gang gesetzt und der Nachhaltigkeits-Bewegung eine breitere Basis verliehen und sie deutlich verjüngt, die die Grundlage für den nächsten Schritt bilden. Die brauchen wir. Auch weiterhin. Ich möchte aber davor warnen, dass wir uns auf diesem Status Quo ausruhen oder gar gemütlich einrichten. Auch sollen natürlich weiterhin Aufklärungsarbeit und Veranstaltungen stattfinden. Entscheidend wird aber hier die Frage der Strategie sein: Warum widmen wir uns diesem oder jenem Thema und wieso entscheiden wir uns für genau diese Veranstaltung mit welchen Gästen? Und verfolgen wir diese Themen konsequent weiter oder bleiben dies alles lose Fäden, die im Nirgendwo verlaufen? Gerade weil wir in der Szene gut mit unseren Kräften - finanziell wie personell - haushalten müssen, ist dieses Vorgehen dringend nötig, damit wir mit unserer Arbeit Spuren hinterlassen. Damit unsere Ideen größer als wir selbst werden. Sonst drohen wir uns in Aktionismus zu verlieren, von dem langfristig nicht viel übrig bleiben wird.

Global denken - lokal handeln!

Ich bin ein großer Fan von „Global denken - Lokal handeln“. Widerspricht das denn nicht meinem Eingangsstatement? Im Gegenteil! Natürlich bleibt das lokale Handeln wichtig (Müll trennen, Licht ausknipsen). Das globale Denken darf aber nicht außer Acht gelassen werden. Und diese Haltung fehlt mir häufig bei dem lokalen Handeln, das dann zum Selbstzweck verkommt. Oder nicht mehr als einen Trend verkörpert, sondern „nur" unserem guten Gefühl dient, indem wir etwas - irgendetwas? - getan haben.

Die politikwissenschaftliche Perspektive

Um diese persönlichen Eindrücke noch etwas zu verallgemeinern, setze ich mal die politikwissenschaftliche Brille auf. Warum sollten wir zu einer „Lobby4good“ werden?

  • Das politische System wird mit Input gefüttert und produziert Outputs in Form von Entscheidungen, konkret Gesetzen, Verordnungen, etc. Betrachten wir doch mal den Output: Sind wir damit zufrieden? Ich glaube nein. Frei nach Albert Einstein: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“, sollten wir also an unserem Input etwas verändern. Worin besteht derzeit unser Input? Aus Petitionen, Demos, Veranstaltungen mit bis zu 30 Personen? Aus Produkten und Angeboten, mit denen wir etwas anders machen als andere? Das ist ein toller Anfang. Leider machen das viele andere auch. Was fehlt, ist die gezielte Einflussnahme auf politische Entscheidungen, die direkte Kommunikation mit Verwaltung und Entscheidungsträger*innen. All das leistet Public Affairs Management.
  • Man unterscheidet zwischen Mikro- (Individuen) und Makroebene (Gesellschaft, Staat). Zwischen diesen beiden Ebenen gehen Politikwissenschaftler*innen von einem Wechselspiel aus. Daher genügt es nicht, nur an einer Stelle zu arbeiten. Ein Wertewandel kann nicht von oben aufoktroyiert werden. Aber: Früher oder später müssen sich Veränderungen auch auf der Makroebene wiederfinden und dort institutionalisiert und verankert werden. Diesen Anspruch müssen wir erheben. Und darauf müssen wir hinarbeiten. Derzeit findet sich beispielsweise die Social Entrepreneurship Szene mit einer Absichtserklärung zur Unterstützung im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wieder. Ein wichtiger Anfang. Damit sind allerdings noch keine konkreten Fördermaßnahmen institutionalisiert. Wir müssen also einerseits für unsere Ideen auf der Mikroebene, beim Individuum, werben, damit konkrete politische Maßnahmen und ein Kulturwandel auch politisch mehrheitsfähig werden können. Gleichzeitig muss dies auf der Makroebene dann aber auch zum Ausdruck kommen. In Form von Gesetzen & Co. Und das wird nicht von alleine passieren.

Dann klappt's auch mit dem Systemwandel

Dort, auf der Makroebene, sollten wir mit gezielter politischer Interessenvertretung also ansetzen, damit sich unsere Aktivitäten auf den verschiedenen Ebenen sinnvoll befruchten. Denn erst, wenn wir auf der Makroebene mit veränderten politischen Rahmenbedingungen angekommen sind, erleben wir eine echte Förderung, die uns in unserer Arbeit entlastet und uns einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Und langfristig am besten für einen Systemwandel sorgt.

 

In diesem Sinne: Lobbyarbeit statt Aufklärungszirkus! Wachsen wir über uns hinaus.


 

 

 

Mit der Schritt-für-Schritt-Anleitung "Lobbyarbeit für die gute Sache" kannst Du sofort loslegen und Deinem Anliegen politisch Gehör verschaffen.

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Kommentare: 3
  • #1

    Jürgen (Donnerstag, 12 April 2018 19:18)

    Ich finde das Hintergrundbild extrem störend beim Lesen.

  • #2

    SocialMediaGedönsTante (Donnerstag, 12 April 2018 19:29)

    Liebe Julia, ich war gestern im BonnLAB, einem städtischen Wohnzimmer und Stadtlabor in #Bonn und durfte einem sehr interessanten Vortrag von Davide Brocchi beiwohnen mit anschließender Diskussionsrunde zu #BuenVivir. Einer nachhaltigen Lebensweise, die bei dem Prinzip ansetzt: From Local to Global. Auch dort wurden von Davide klar verständlich die Ursprünge seines Tag des guten Lebens erzählt und gleichzeitig die nachhaltige Wirkung solcher Projekte erläutert. Dabei wurde u.a. das Agora-Prinzip beschrieben und warum es beispielsweise wichtig ist, dass die Politik mit Entscheidungskompetenz näher am Volk sein muss. Am Beispiel der Schweiz hat Davide das gut transportiert. Sobald ich den link zu seiner Präsentation habe, sende ich Euch das gerne mal. Hier zunächst der Link zur Homepage vom Tag des guten Lebens in Köln http://www.tagdesgutenlebens.de/
    und zur Erklärung der Agora
    http://www.tagdesgutenlebens.de/ueber-uns/
    Viele Grüße, Ute

  • #3

    Julia Post | Open Your Window (Sonntag, 15 April 2018 11:20)

    Vielen Dank für Eure Rückmeldungen! Klingt sehr spannend, was Du von der Konferenz erzählst, Ute.
    Zur Verbesserung der Lesbarkeit, habe ich die Transparenz des Hintergrunds reduziert. Ich hoffe, das hilft!
    Herzliche Grüße, Julia