Noch vor Weihnachten hatten sich Grüne und CDU in Hessen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Vor der Wahl hatte ich für Euch die Wahlprogramme der hessischen Parteien auf die Punkte Social Entrepreneurship, (Soziale) Innovation, Gründung, Start-ups, Gemeinwohl und Digitalisierung geprüft. In diesem Sinne habe ich Euch die relevanten Passagen für die Social Entrepreneurship Szene herausgesucht, gewürzt mit meinen Einschätzungen. So viel sei vorab verraten: Die hessischen Social Entrepreneurs können sich auf die kommenden fünf Jahre freuen.
Relevante Passagen im Wortlaut
"Um innovative Gründungen in ganz Hessen zu unterstützen, wollen wir die Start-up-Initiative Hessen landesweit umsetzen und auch Co-Working und Maker-Spaces (offene Werkstätte) in den ländlichen Räumen unter Einbeziehung der Regionalmanagementgesellschaften Nord- und Mittelhessen weiter stärken. Eine wachsende Zahl von Unternehmen leistet als „Social Entrepreneurship“ einen wichtigen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher oder ökologischer Probleme. Dieses Sozialunternehmertum benötigt eine Gründungsberatung und spezifische Förderinstrumente, die wir entwickeln und ausbauen wollen." (S. 142)
"Unser Ziel ist, Frauen stärker zur Gründung von Unternehmen zu motivieren und so bislang nicht genutzte Potentiale für die hessische Wirtschaft zu aktivieren. Dazu werden wir die Gründungsförderung auf Geschlechtergerechtigkeit überprüfen und, wenn notwendig, entsprechend nachsteuern. Wir wollen die innovativsten und zukunftsfähigsten Gründungen unterstützen." (S. 142)
"Innovative Geschäftsideen und Start-ups bringen Dynamik in die Wirtschaft und leisten so einen wichtigen Beitrag, wir bekennen uns daher mit Nachdruck zum Start-up- und Gründerstandort Hessen. Um den Gründerstandort Hessen weiter voranzubringen, wollen wir Unternehmensgründungen deutlich vereinfachen. Dazu gehört, dass wir Unternehmer insbesondere in den ersten beiden Jahren nach der Gründung von Bürokratie entlasten. Konkret bedeutet das z.B. die Befreiung von Berichtspflichten oder auch eventuelle Entlastungen von Beiträgen (z.B. IHK und HWK), die wir mit den betroffenen Kammern diskutieren wollen. Zur Finanzierung von Unternehmensgründungen werden wir die Bereitstellung von Mikro-Krediten, „Kapital für Kleinunternehmen“, Innovationsdarlehen sowie die Gründungs- und Wachstumsfinanzierung gemeinsam mit der WI Bank fortsetzen und die Rahmenbedingungen für den Einsatz von Risikokapital weiter verbessern. Ebenso wollen wir für Bürgergenossenschaften in der Vor- und Gründungsphase die Angebote der WI Bank öffnen sowie Crowd-Mikrokredite und die Anteilsfinanzierung für Mitglieder unterstützen." (S. 141)
"Wir wollen das exzellente Potential für “KI made in Hessen“ nutzen, das der Gesellschaft und dem Menschen dient, wirtschaftliche Entwicklung fördert und damit die Arbeitsplätze der Zukunft sichert. Ziel ist, auf einem neuen „TechCampus“ dringend benötigte Fachkräfte im KI-Bereich auszubilden und die Anregung zur Gründung von Start ups als integralen Bestandteil des Studiums zu betrachten." (S. 179)
"Gemeinwohlökonomien, Genossenschaften, Menschen mit Erfindergeist wie bei Sharing-Konzepten, Repair-Cafés oder Food-Coops wollen wir fördern. Über Gemeinwohl- und Ökobilanzen können die Umweltauswirkungen und die Folgen für das Gemeinwohl systematisch von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Nutzung bis zur Entsorgung analysiert werden. Solche Öko- und Gemeinwohlbilanzen wollen wir fördern, sodass Unternehmen ihre Wertschöpfung transparent und umfassend darlegen und als Vorbilder für eine nachhaltige Wirtschaftsweise dienen können. Wir sind uns dabei auch über die Vorbildfunktion der landeseigenen Betriebe bewusst." (S. 112)
Digitalisierung als Querschnittsthema
Das Thema Digitalisierung soll extra behandelt werden, da hierzu sehr viele Passagen existieren. Das Wort taucht auf 43 Seiten des knapp 200-seitigen Vertrags immer wieder auf. Egal ob es um die Verwaltung, Hochschule, das Ehrenamt, Cyberkriminalität, die Energiewende oder technische Fragen und die Versorgung des ländlichen Raums geht. Zu fast jedem Thema gibt es eine Bezugnahme auf die Digitalisierung. Das zeigt, dass das Thema (endlich) als Querschnittsthema gedacht wird. In diesem Sinne ist für Sozialunternehmen besonders dieser Satz des Koalitionsvertrags sehr interessant: „Wir wollen eine Digitalisierung, die vom Nutzen für die Menschen gedacht und für die Menschen gemacht wird“ (S. 8).
Einschätzungen
- Social Entrepreneurship wird nun in immer mehr Koalitionsverträgen explizit genannt und soll gefördert werden: Ob die Große Koalition im Bund oder die neue „Spezi“-Koalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern und nun auch in Hessen. Das könnte für immer mehr Bundesländer und Koalitionen Schule machen.
- Die angesprochenen Koalitionsverträge von Bayern, Hessen und im Bund machen deutlich: Dem Thema Social Entrepreneurship wird lagerübergreifend wohlwollend und fördernd begegnet. Ob es die konservative CSU oder das eher linke Lager SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist. Ich sag’s mal so: Besser könnte es für uns als Community nicht laufen. Die (politische) Welt steht uns offen!
- Wir müssen sozusagen nur noch durch die offene Tür treten. Wir sollten also für und mit der neuen Landesregierung konkrete Konzepte für Hessen entwickeln und anbieten. Sie laden uns ja mehr oder weniger gerade zu politischer Lobbyarbeit ein, wenn sie schreiben „Dieses Sozialunternehmertum benötigt eine Gründungsberatung und spezifische Förderinstrumente, die wir entwickeln und ausbauen wollen“. Es steht ihnen förmlich in’s Gesicht geschrieben, dass sie sich fragen wie das genau aussehen könnte. Das beantworten wir gerne.
- Besonders offen stehen uns die Türen in Hessen, da das Programm auch unabhängig von „unseren“ Themen eine gemeinwohlorientierte Denke erkennen lässt. Mehrfach wird das Wort „Gemeinwohl“ im Programm themenübergreifend genannt.
- Das Vorgehen des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. (SEND) Regionalgruppen zu gründen, hat sich bereits jetzt schon als richtig erwiesen. Die hessische Gruppe sollte unbedingt die Treffen an wechselnden Orten stattfinden lassen und dabei auch mehr und mehr die Ballungsräume hinter sich lassen. Erobern wir den ländlichen Raum! Die Landesregierung will genau das fördern (vgl. S. 142). Wir sollten also hier proaktiv agieren und Unterstützung für dieses Vorhaben anbieten. Zudem sind diese Räume für uns interessant, da wir dort mehr Aufmerksamkeit und weniger Konkurrenz haben, denken wir nur an die mediale Berichterstattung oder auch an so etwas Konkretes wie Büroräume.
Fazit
Social Entrepreneurship etabliert sich immer mehr auf der politischen Agenda. Speziell in Hessen sind die Früchte reif und warten darauf geerntet zu werden. Es ist notwendig nun länderspezifische Konzepte und politische Forderungen zu entwickeln und in eine strategische Zusammenarbeit mit der Politik zu treten. Damit wir diesen Schwung auch in die anderen Bundesländer tragen, ist die Arbeit in regionalen Zusammenschlüssen notwendig. Wir sollten uns außerdem Gedanken darüber machen, wie wir Länder erreichen wollen, in denen Sozialunternehmertum offenbar noch kein Thema ist und in der nächsten Zeit wichtige Wahlen anstehen wie beispielsweise in Brandenburg, Sachsen und Thüringen (vgl. Deutscher Social Entrepreneurship Monitor 2018). Politische Relevanz ergibt sich nämlich auch aus einer flächendeckenden Präsenz.
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