Die Große Koalition im Bund hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Sozialunternehmertum bekannt und darin angekündigt, Social Entrepreneurship und soziale Innovationen zu fördern. Anfang des Jahres stellten Abgeordnete der Grünen Bundestagsfraktionen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Nun liegen die Antworten vor. Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) hat dazu bereits ein ausführliches Statement veröffentlicht, so dass ich mich in diesem Beitrag auf ein paar wenige übergeordnete Punkte konzentrieren werde.
Definition von "Social Entrepreneurship"
"Die Bundesregierung rechnet zu Sozialunternehmertum alle Unternehmen, wirtschaftliche Vereine und Stiftungen, deren Geschäftsmodell auf die Lösung von sozialen/gesellschaftlichen Herausforderungen mit unternehmerischen Mitteln gerichtet ist. Aus Sicht der Bundesregierung wird das damit einhergehende weite Spektrum der Heterogenität von Social Entrepreneurship angemessen gerecht" (S. 2).
Diese "Definition" erlaubt noch keine Abgrenzungen und ist eher dafür geeignet, dass man sich in Politik und Verwaltung den berühmten Schwarzen Peter hin und her schiebt. Die vielen besonderen Herausforderungen, vor denen Social Entrepreneurs stehen, werden damit in keiner Weise berücksichtigt und gewürdigt. Dies ist allerdings eine ganz wichtige Grundlage, um geeignete Instrumente zu erarbeiten. Laut einer Studie der Europäischen Kommission haben 20 von 29 Ländern (EU und die Schweiz) bereits eine Definition. Deutschland hat hier nichts vorzuweisen.
Vor gut einem Jahr haben sich die Sozialunternehmer*innen in ganz Deutschland erstmals in einem Verband, dem SEND, organisiert. So soll Social Entrepreneurship in Deutschland eine Stimme gegeben werden und das Thema auf politischer Ebene mehr Gehör finden. Meinem Verständnis nach sind wir allerdings als Verband als allererstes gefragt hier eine echte Definition vorzulegen. Wollen wir das wirklich anderen überlassen? Ich glaube nicht! Dies ist in erster Linie kein Mangel, der der Bundesregierung vorzuwerfen ist, sondern eine Hausaufgabe, die wir noch machen müssen. Gut, dass SEND sich dies für das Jahr 2019 zur Aufgabe gemacht hat. Und Ihr könnt mit Eurer Teilnahme an dieser Umfrage bis zum 22. Februar aktiv daran mitwirken.
Benötigen wir eine eigene Rechtsform?
"Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die vorhandenen Rechtsformen für die Gründung von Sozialunternehmen nicht geeignet oder nicht ausreichend sind" (S. 6).
Auch hierbei handelt es sich nach meinem Verständnis noch um fundamentale Grundlagen, auf die wir zunächst selbst eine Antwort formulieren müssen. In Gesprächen hört man immer wieder, dass wir dies dringend brauchen - aber mindestens genauso häufig, dass die bestehenden Rechtsformen vollkommen ausreichend sind. Und um nicht nur beim "Hörensagen" zu bleiben: Laut dem ersten Deutschen Social Entrepreneurship Monitor (DSEM) sehen 46,1 Prozent der Teilnehmenden das Fehlen einer passenden Rechtsform als wesentliche Hürde (S. 27). 46,1 Prozent? Das ist keine Mehrheit. Auch hier können wir von der Politik kein Handeln erwarten, solange wir nicht unsere Hausaufgaben gemacht haben und einen entsprechenden Beschluss gefasst haben, der es uns erlaubt auch tatsächlich mit einer Stimme zu sprechen. Niemand aus der Politik wird sich an dieses heiße Eisen wagen und sich in unsere Angelegenheiten einmischen, solange wir unseren eigenen Kram nicht geklärt haben.
Bildung in den Fokus rücken
Ich hatte in meiner Analyse zum Koalitionsvertrag schon einmal die Frage aufgeworfen, ob wir uns eventuell auch auf einzelnen Politikbereichen positionieren wollen, oder ob es uns immer "nur" um die Rahmenbedingungen für Social Entrepreneurship geht. Wenn ich die Antworten auf
"Frage 7: Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die Übertragung einer expliziten Verantwortlichkeit für soziale Innovationen bzw. Social Entrepreneurs in das Portfolio eines Staatssekretärs bzw. einer Staatssekretärin ein geeignetes Instrument sein könnte, Social Entrepreneurs tatsächlich stärker zu fördern?
Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit keine Änderung der Zuständigkeiten. [...]"
und
"Frage 15: Hält die Bundesregierung es für wichtig, das Thema Social Entrepreneurship in Beratung, Lehre und Forschung zu stärken? Wenn ja, wie?
Wissenschaft und Forschung sind wichtige Impulsgeber für technologische und nichttechnologische Innovationen sowie für Unternehmertum. Aus Sicht der Bundesregierung ist es wichtig, auch das Thema Social Entrepreneurship in die Ausbildungs- und Forschungsleistungen zu integrieren, um die Potenziale von Social Entrepreneurship für die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft aufzuzeigen. [...]"
vergleiche, gewinne ich den Eindruck, dass auf dem Gebiet von Bildung, Lehre und Forschung deutlich mehr Offenheit vorhanden ist, als bei einer Neustrukturierung in den Ministerien. Social Entrepreneurship ist keine hochumstrittene Thematik, wirft aber viele neue Fragen auf, die erst einmal die alte Denke verwirren. Das muss im System verarbeitet werden. Und das wird vermutlich seine Zeit dauern. In bereits bestehenden Strukturen, neue Inhalte mit aufzunehmen klappt deutlich geschmeidiger und unterstützt und bei der Arbeit an einem Kulturwandel. Und welcher Bereich wäre dazu besser geeignet als die Bildungspolitik, von der für die nachfolgenden Generationen so viele wichtige Impulse ausgehen werden?
Fazit
Wir erfahren weiterhin vage Unterstützung und Sympathiebekundungen und das ist eine so wichtige Grundlage, auf der wir ohne großen Widerstand aufbauen können. Das ist unglaublich wertvoll! Es wird aber auch deutlich, dass wir noch nicht gut greifbar sind. Das hat auch damit zu tun, dass wir mit unserem Denkansatz ein ganzes System auf den Kopf stellen. Wenn wir Ausdauer und einen langen Atem beweisen, werden wir auch auf diesem Gebiet eine Menge erreichen. Und für die nächsten ganz konkreten Schritte müssen wir nicht nur hartnäckig am Ball bleiben, sondern auch noch die ein oder andere Hausaufgabe (Definition von Social Entrepreneurship und die Frage nach der Rechtsform) erledigen.
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