Politik ist für viele erstmal sehr abstrakt. Und kann dann doch plötzlich ganz konkret werden. Die Corona-Krise ist genau das: Konkret. Sie lässt die abstrakte Politik näher an unseren Alltag heranrücken.
In meinen Workshops über Lobbyarbeit beginne ich immer gerne mit der Frage, was denn überhaupt Politik ist, was Politik macht? Die Corona-Krise hat auch mir als Politikwissenschaftlerin nochmal eindrücklich, wie unter einem Brennglas, gezeigt, was "die Politik" in Form eines Staates leistet. Er organisiert. Er schafft Strukturen. Mehr Intensivbetten. Ausgangsbeschränkungen. Rettungsschirme. Strukturen, die (mindestens) ein Ziel verfolgen, die einem Wert verpflichtet sind, die eine Priorität verfolgen. Aktuell ist das der Schutz unserer Gesundheit. Es will Menschenleben retten. Welches Ziel, welche Werte waren das eigentlich vor Corona? Welche werden es nach Corona sein?
Darüber wird debattiert. Am Esstisch. (Zur Zeit nicht) am Stammtisch. In den Medien. Auf Twitter. In den Parlamenten. Verschiedene Interessen melden sich zu Wort, müssen gegen- und miteinander abgewogen werden. Ausgangsbeschränkungen sollen unser Leben schützen. Manche bringen sie im eigenen Zuhause in Gefahr. Wie kann diesen Menschen geholfen werden? Eine Maßnahme zieht die nächste nach sich. Ich konnte sehr lange mit dem Ausdruck "eine gesellschaftliche Debatte führen" wenig anfangen. Das war mir zu abstrakt. Wo passiert das? Wie läuft das eigentlich genau ab? Da ich das in den vergangenen Jahren intensiv mitgemacht habe, wurde es für mich mit der Zeit natürlich sehr anschaulich. Und die Corona-Krise macht es vielleicht besonders plastisch.
Parteien sind der Ort, wo Maßnahmen konstruktiv kritisch hinterfragt werden, neue Ideen und Ergänzungen entwickelt werden. Wo mitgedacht wird. Wo sich alle Köpfe zusammenschließen und eifrig überlegen, wie sich dieses und jenes möglichst gut, möglichst für alle ausgestalten lässt. Hotels stehen doch leer. Ist das nicht ein Ort, wohin Menschen ausweichen können, denen das Zuhause kein Schutzraum ist. Oder für Menschen, die gar kein Zuhause haben. Und genau so verstehe ich übrigens auch die Aufgabe von Lobbyarbeit: Mitdenken. Aus einer ganz bestimmten Perspektive heraus. Das liefert Spezialwissen an die Mitdenkenden in Parteien und die Entscheidungsträger*innen, so dass sie möglichst viele (idealerweise: alle) Perspektiven beachten können.
In einigen Wahlen kann man sein Kreuz nur bei einer Partei machen, in anderen Wahlen auch ganz gezielt bei Personen. In der Politikwissenschaft gibt es einen Ansatz, der besagt, dass die politischen Entscheidungen davon abhängen, welche Partei(en) gerade an der Regierung ist/sind. Die Parteien unterscheiden sich in ihrer Weltanschauung, in ihren Werten, die sie zur Priorität machen. Dieser Ansatz geht davon aus, dass sich Staatstätigkeit tatsächlich gestalten lässt, dass sie sich verändern kann. Es gibt auch den genau gegenteiligen Ansatz, der davon ausgeht, dass die bestehenden Strukturen und das institutionelle Setting so starr ist, dass, egal wer gerade regiert, es nur einen sehr begrenzten Spielraum zur Gestaltung besteht. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Mir zeigt die Corona-Krise trotzdem sehr eindrücklich, wie entscheidend auch die einzelne Person im Amt ist. Wird besonnen und nüchtern kommuniziert wie bei Angela Merkel. Wird Kriegsrhetorik verwendet wie bei Emmanuel Macron. Wird die Krise ernst genommen und werden Maßnahmen ergriffen oder wird sie als eine gewöhnliche Grippe abgetan (Trump, Bolsonaro) und damit leichtfertig Menschenleben riskiert, den Helfenden eine unmenschliche Situation zugemutet, entscheiden zu müssen, wer beatmet wird und wer nicht. Wird die Krise, wie in Ungarn, als Vorwand genutzt, um Grundrechte dauerhaft einzuschränken, oder wird dieser Eingriff als schmerzhaft empfunden, der nur solange andauern darf, wie er dem Schutz von Menschenleben dient. Für welchen Personenkreis gilt die beschworene Solidarität de facto, welche Maßnahmen werden für diesen Personenkreis ergriffen? Ich meine, es lohnt sich, die Bewerberinnen und Bewerber um ein politisches Amt ganz genau anzusehen.
Wo wurde Politik für Dich schon Mal ganz konkret? Was ist Dir dadurch klar geworden?
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